von Jessica Martin
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07 Okt., 2019
Kapitel 7 ist ebenfalls erstaunlich flott getippt. Ich muss kaum „dirigieren“, denn die Männer wuppen dieses Kapitel quasi selbst. Lediglich eine kleine Recherche muss ich einschieben, denn irgendjemand kam auf die Idee, dass ein Protagonist Arzt sein soll. Weil es gerade so schön passt und ich gefragt worden bin, ob ich das Recherchieren wirklich so exzessiv betreibe und es überhaupt in dieser Akribie notwendig ist, möchte ich gern näher darauf eingehen. Natürlich kann ich in diesem kleinen Exkurs nur für mich sprechen. Es soll kein Lehrvortrag sein und ich will hier nicht mit dem erhobenen Zeigefinger dastehen, sondern lediglich an einem Beispiel darstellen, warum ich es so mache, wie ich es mache. Mal angenommen, in der Geschichte passiert ein Unfall. Ich möchte gern, dass der Arzt kommen muss, es aber nicht so schlimm wird, dass der verletzte Protagonist ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Der Unfall gibt im Groben bereits die Art der Verletzung vor. So weit so gut. Nun gibt es zwei Szenarien, wie diese Szene ablaufen kann: ohne Recherche und mit Recherche. Ohne Recherche schreibe ich im besten Fall eine Szene zusammen, die der Laie mir glaubt und der fachkundige Leser immerhin noch belächeln kann. Im schlimmeren (und vermutlich wahrscheinlicheren) Fall würde ich die Verletzung und medizinische Versorgung entweder dramatisieren und ein Arzt wäre eigentlich nicht nötig gewesen oder der herbeigerufene Mediziner verhält sich irrational oder gar fahrlässig, wenn er den Patienten nicht ins Krankenhaus einweist. Natürlich besteht zu einem geringen Prozentsatz auch die Möglichkeit, ohne Recherche eine faktisch richtige Szene darzustellen, aber die Wahrscheinlichkeit, eine plausible und glaubhafte Szene zu schreiben, ist weitaus höher, wenn ich (die ich keine medizinische Vorbildung oder Erfahrung mit Unfällen dieser Art habe) ein paar Stunden Zeit investiere und die angestrebte Verletzung und Notfallversorgung recherchiere. Ich möchte natürlich niemandem vorschreiben, wie er oder sie eine Geschichte zu schreiben hat, aber ich habe schon zu viele Bücher gelesen in denen „könnte so passieren“ leider nicht funktioniert hat. Es reißt mich als Leser aus der Geschichte, wenn ich über einen offensichtlichen Fehler stolpere. Dann verliere ich das Vertrauen in den Autor und werde beim Weiterlesen automatisch nach Ungereimtheiten Ausschau halten, statt mich vorbehaltlos auf die Geschichte einzulassen und darin einzutauchen. Und aus Autorinnensicht betrachtet: Wenn man Glück hat, bemerkt der Leser den Fehler nicht oder zuckt nur mit den Schultern und liest weiter. Schlimmer ist es jedoch, wenn er das Buch zuklappt. Und im Anschluss eine Rezension verfasst. Das mag jetzt total lieblos klingen und so gar nicht mehr nach der romantischen Vorstellung einer Autorin im Schreibrausch, aber mir ist bei meiner Arbeit stets bewusst, dass ich hier ein Produkt erschaffe, für das meine Leser ihr sauerverdientes Geld ausgeben sollen. Ich verschenke mein Buch hinterher nicht an Freunde oder Familie, sondern ich biete es auf einem Markt an. Ich verlange Geld dafür und daher ist es meine Pflicht, meinen Lesern eine Geschichte anzubieten, die ich natürlich liebevoll geschrieben, aber eben auch gründlich recherchiert habe. Von meinem Bildungsauftrag, von dem ich mich auch im fiktionalen Romanbereich nie wirklich freisprechen kann, mal ganz zu schweigen. Wenn ich einen Maler beauftrage, will ich schließlich auch, dass er sein Handwerk versteht, und nicht nur glaubt zu wissen, wie man einen Farbeimer umrührt und eine Farbrolle über die Wand bewegt. In beiden Fällen mag das Ergebnis das gleiche sein: Farbe an der Wand. Aber es sind die Feinheiten, die den Unterschied machen und die mich davon überzeugen, beim nächsten Mal den gleichen Maler wieder zu beauftragen. So, nun wisst ihr, wie wenig romantisch mein Job eigentlich ist. Aber ich finde ihn gerade deswegen auch unglaublich spannend. Ich habe mir für meine Ausbildung, mein Studium und meine anschließenden Jobs schon einiges an Fachwissen anlesen müssen, aber noch nie habe ich so eine breite Palette an Dingen gelernt, wie seit meinem Autorendasein. Und nachdem ich das nun losgeworden bin, widme ich mich Kapitel 8 der Geschichte. :-)